Theater-Dialog

Zivilcourage, Empathie und Zeit

Wie begegnen wir Menschen mit Demenz angemessen? Wie sprechen wir Defizite an – sollen wir das überhaupt tun? – und wie können wir Betroffene unterstützen? Die Drehscheibe Demenz und die Plattform Mäander haben zum erkenntnisreichen und vergnüglichen Theaterabend in Zürich-Oberstrass eingeladen.

Jemand ist bereits am Waschen, obwohl eigentlich unser Waschtag ist. Wer in einem Mietshaus wohnt, kennt den Ärger, den Mara verspürt. Die junge Frau trifft in der Waschküche ihren Nachbar Peter an. Dieser scheint nicht mehr zu wissen, wie das Gerät funktioniert und wirkt verwirrt. Als ihn die Nachbarin mit seinem Fehler konfrontiert – «Dein Waschtag ist nicht heute, sondern am Freitag!» –, versucht er sich mit abstrusen Erklärungen aus der Situation herauszuwinden.

Am Donnerstag, 26. September 2024, luden die Drehscheibe Demenz der reformierten Kirche Zürich und die Plattform Mäander ins Kirchgemeindehaus Oberstrass in Zürich zu einem besonderen Theaterabend ein. Das Theater act-back spielte vor einem 150-köpfigen Publikum Szenen, in denen sich Menschen mit und ohne Demenz im öffentlichen oder halböffentlichen Raum begegnen. Dazwischen erörterte Irene Bopp-Kistler, auf Demenz spezialisierte Geriaterin und ehemalige Leiterin der Memory Clinic am Stadtspital Zürich Waid, im Gespräch mit Live-Regisseur Silvan Diener das Gesehene. Der Abend wurde des Weiteren von der Pfarrei Guthirt unterstützt.

Helfen ohne Übergriffe

Mara hatte in der Waschküche einen «Schlüsselmoment» als sie Peters Schritt-für-Schritt-Anleitung las, die er sich fürs Bedienen der Waschmaschine geschrieben hatte, bemerkte Irene Bopp-Kistler. «Da merkte sie: Peter hat ein grösseres Problem als nur die Waschtage zu verwechseln.» Obwohl das Wort Demenz nie fiel, wurde Mara ab dem Moment sanfter und bot ihm zögerlich Hilfe an. «Wenn du etwas brauchst, weisst du ja, wo ich wohne.»

Eine ältere und eine jüngere Frau spazieren am Seeufer. Man sieht sie von hinten.

Stress in der Waschküche. Peter: «Die haben die Waschmaschine verändert!» – Mara: «Heute ist mein Waschtag!» (Bild: Plattform Mäander).

Wie hilft man, ohne übergriffig zu werden, fragte Silvan Diener. Es handelt sich in diesem Beispiel ja nicht um ein Familienmitglied oder eine Freundin, sondern um die eher flüchtig bekannte Nachbarin. Irene Bopp-Kistler riet, Beobachtungen in Ich-Botschaften zu verpacken und der eigenen Sorge Ausdruck zu verleihen.

Das gelang Mara, als sie Peter in einer weiteren Szene die gemachte Wäsche vorbeibrachte. «Ich kann nicht ruhig schlafen, wenn ich weiss, dass du hier sitzt, und es dir nicht gut geht.» Ausserdem konfrontierte sie ihn mit seinen Defiziten: «Die Post-Its überall, der muffige Gestank, die Unordnung in der Wohnung.» Peter gibt schliesslich zu, dass etwas mit ihm nicht stimmt. «Es war, als sei ein Tor zu einem Abgrund geöffnet worden. Dieses Tor hatte er krampfhaft versucht zuzuhalten», beschrieb Juri Elmer, der Peter spielte, das Gefühl, das er dabei hatte.

Auch wenn ein Mensch mit Demenz von fehlender Krankheitseinsicht betroffen ist, merke er, dass etwas mit ihm nicht stimme, sagte die Demenz-Expertin. Aussenstehende sollten das Unbehagen deshalb ansprechen. Denn es sei besser mit den Betroffenen als über sie zu sprechen. Das spürten sie nämlich ebenfalls. «Menschen mit Demenz wollen auch Wertschätzung erhalten. Die bekommen sie seltener, weil sie häufig Fehlleistungen produzieren.»

Aussensicht für den Arzt

Mara schlägt vor, Peter zum Hausarzt zu begleiten. Bei alleinstehenden Menschen könne es tatsächlich wichtig sein, dass eine aussenstehende Person sie zur Abklärung begleite, um eine Fremdanamnese beizusteuern, erklärte Irene Bopp-Kistler. «Natürlich muss die Nachbarin gleichzeitig schauen, dass sie sich nicht zu viel auflädt.»

Nach dem Termin beim Hausarzt, sei vermutlich eine Abklärung in einer Memory Clinic angezeigt, allenfalls die Anmeldung bei einer Spitex oder einer aufsuchenden Demenzberatung, skizzierte die Geriaterin die weiteren Stationen einer erkrankten Person. Es gelte sicher zu fragen, wer ihre Finanzen erledigt und weitere Vorsorgemassnahmen zu ergreifen. Später gehe es darum, wieder Lebenssinn und -freude zu finden, so etwa im Dunnschtigs-Club oder im Sing-Café der Drehscheibe Demenz, oder im Weischno Chor bzw. am ALZ-Gipfeltreffen in der Pfarrei Guthirt. Die Drehscheibe Demenz ist ein Angebot der reformierten Kirche im Zürcher Kreis 6, die damit das Ziel einer demenzfreundlichen Kirche verfolgt.

Theater-Szenen als Spiegel

Die Schauspielenden des Theaters act-back (Klara Rensing, Doris Schefer, Juri Elmer) stellten eindringliche, aus dem Alltag gegriffene Situationen dar. Die Methode des sogenannten Forumtheaters verhilft dem Publikum mittels improvisierter Szenen, sich vertieft mit aktuellen gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen, zum Beispiel mit der Frage, wie Menschen mit Demenz am besten mitten unter uns leben können.

Die an diesem Abend lebhaft diskutierten, aus dem Alltag gegriffenen Beispiele zeigten, dass es ein bisschen Zivilcourage und viel Empathie braucht, um einer Person mit Demenz zu begegnen. Ausserdem ist es nützlich, Zeit zur Verfügung zu haben, und eine kurze Weile lang ganz im Moment sein zu können.

Eine ältere und eine jüngere Frau spazieren am Seeufer. Man sieht sie von hinten.

«Es ist viel besser mit Menschen mit Demenz als über sie zu sprechen», sagt Demenz-Expertin Irene Bopp-Kistler im Gespräch mit Regisseur Silvan Diener (Bild: Plattform Mäander).